Dorfleben

An der Bleichwiese

Anton Färber

In meiner Jugendzeit gab es sie noch, die Bleichwiese. Heute, kaum 50 Jahre später, wissen nicht mehr viele, was das war, wofür sie überhaupt gut war, die Bleichwiese. Sie war für alle da. Fast alle nutzten sie. Für uns Kinder war sie ein kleines Paradies, ein Anziehungspunkt wie es noch nicht einmal der Bur war. Für viele Hausfrauen war sie nahezu unentbehrlich, konnten sie doch ihrer Wäsche eine Frische, ein strahlendes Weiß geben, wie es die heutige Chemie mitsamt raffinierter Technik und maßlos übertriebener Reklame immer noch nicht vermag. Hektik wurde noch kleingeschrieben. Das Wort Herzinfarkt war noch nicht in aller Munde, ja man kannte es noch nicht. Es gab schon einige Waschmaschinen im Dorf. Die meisten wurden per Hand angetrieben. Viele Frauen wuschen noch mit dem Wäschestampfer, ohne die Umwelt zu schädigen. Das Waschbrett gab es noch in vielen Haushalten. Oft musste ich der Mutter beim Waschen helfen. Das machte mir kleinem Taugenichts natürlich nicht allzu viel Spaß. Allzu oft verstand ich es, mich aus dem Haus zu schmuggeln.

Aber zurück zur Bleichwiese. Da waren zwei große Tröge, aus Basalt gehauen. Keine scharfen Kanten konnten Finger oder gar die Wäsche verletzen. Alles war im Laufe der Zeit durch häufige Benutzung glatt geworden. Aus einer Leitung lief ständig Wasser in beide Tröge, die ich am liebsten doch Waschbecken nennen würde. Denn als solche wurden sie ja auch benutzt. Nach hinten konnte man das Wasser durch eine Mauer ablaufen lassen, direkt in den „Kanal“.

Susanne Zeutzem (geb. Bersch) an der Bleichwiese „am Kanal“ (heute Jahnstraße). Die Bauern nutzen den „Kanal“ zur Reinigung und Befeuchtung ihrer aus Holz bestehenden Fuhrwerke.

Der Kanal war die eigentliche Attraktion für uns Kinder. Im Grunde war er nur ein Brandweiher. Das Spritzenhäuschen der Feuerwehr stand nur 50 Meter weiter in der Jahnstraße. Jeder Bassenheimer Junge von damals wird im Einmachglas seine Stichlinge aus dem Kanal nach Hause getragen haben. Als Angelzeug benutzten wir eine Sicherheitsnadel an einem Stück Faden. Ein Wurm wurde aufgespießt, und ab ging’s. Die Rotbrüstchen waren die begehrtesten. Das waren die Männchen, die in der Paarungszeit leuchtend gefärbt waren. Zu Hause, einsam im Einmachglas, verloren sie aber bald ihren Hochzeitsschmuck, was wir Kinder gar nicht gut verstehen konnten.

An warmen Sommertagen wurde der Kanal zu unserem Schwimmbad umfunktioniert. Das arme Bassenheim kann leider bis auf den heutigen Tag seinen Kindern nichts Besseres bieten. Man konnte, wenn man nicht allzu klein war, das Wasser von einem bis zum anderen Ende durchqueren. Wir Jungens bastelten uns Schwimmwesten aus Flaschenkorken, die wir auf Wurstkordeln aufreihten. Das gab ein abenteuerliches Aussehen. Viel Gezeter war zu hören, wenn Bauern ihre Pferde das Wasser durchqueren ließen. Diese scheuten sich nicht, regelmäßig mittendrin ihre Roßäpfel fallen zu lassen. Dann wurde das ansonsten so grüne Wasser braun. Wir versuchten dann, die unerwünschten Gegenstände so schnell wie möglich durch den Überlauf hinauszubugsieren. Manchmal schwammen auch Hunde durch das Wasser. Das gefiel uns zwar gar nicht, aber niemand konnte sie davon abhalten, ins Wasser zu gehen. Ein Mädchen band sich eine große eckige Blechdose auf den Rücken, um nicht unterzugehen. Sie hat es tatsächlich geschafft, im Kanal das Schwimmen zu lernen. Und das in einem Wasser, das wir heute wahrscheinlich eine stinkende Brühe nennen würden.

Größere Kinder konnten an der Bleiche ein paar Pfennige, vielleicht sogar Groschen verdienen. Frauen nämlich, die ihre Wäsche zur Bleiche brachten, zeitlich aber ein bisschen knapp waren, beauftragten gerne ein Kind, die auf dem Gras bereits ausgelegte Wäsche immer wieder nass zu machen. Die Sonne schaffte dann auf ganz natürliche Weise das, wofür wir heute die Chemie bemühen. Allerdings hatte die Natur auch ihre Schabernacke parat. Immer liefen nämlich auf der Bleichwiese auch Hühner herum. Ebenso gab es Hunde und Gänse. Es geschah immer wieder einmal, dass jemand nicht aufpasste. Im Nu scharrte eine Schar Hühner auf den Bettlaken und ließ zu allem Übel auch noch Verdauungsrückstände auf strahlendem Weiß zurück. Noch größer war der Effekt, wenn Gänse auf die Wiese gerieten und dort etwas fallen ließen. Da musste natürlich wieder neu gewaschen werden.

Uns Jungens machte das nichts aus. Wir knieten auf der Mauer und angelten. Angelhaken kannten wir nicht. Ein Fisch, der angebissen hat, musste schnell herangezogen und mit der freien Hand gefangen werden.

Auf der Bleichwiese wurde früher die Wäsche gebleicht. Gut zu erkennen ist der ehemalige Sportplatz (Mitte links) und der Bockstall (Mitte). Die Bauern kamen mit ihren Geisen zum Stall, damit diese vom Bock gedeckt werden sollten.

Im Monat Mai gab es dann noch eine besondere Attraktion. Ganz am anderen Ende der Bleichwiese vor dem Bockställchen standen ein paar junge Bäume. Als Kind schaffte man es gerade noch, sie zu schütteln. Dann regnete es Maikäfer, die wir in Streichholzschachteln mitnahmen, um sie dann in der Schule fliegen zu lassen. Ich kann es nie vergessen. Es war ein Wahnsinnsspaß, wenn so ein Maikäfer mit tiefem Gebrumm kreuz und quer durch die Klasse flog und dann gegen das Fenster klatschte. Das war schon eine Strafe wert.

Manchmal war auch der Ziegenbock draußen auf der Wiese festgemacht. Dieser Ziegenbock wurde von der Gemeinde gehalten, und der Gemeindediener Markus Baulig hatte für sein leibliches Wohl zu sorgen. Ziegen sind ja bekanntlich sehr wählerisch, und auf der Wiese konnte er sich sein Futter selbst aussuchen. Natürlich war es verboten, den Erzeuger von alljährlich vielen Zicklein zu necken. „Aus Versehen“ geschah es aber doch hin und wieder. Sehr interessant war das für uns allerdings nicht, denn er stank wirklich im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Ziegenbock. Es gibt ihn schon lange nicht mehr. Es gibt überhaupt keine Ziegen mehr in Bassenheim. Jeder hat heute Geld genug, sich Milch zu kaufen. Kein Kind muss mehr bittere Ziegenmilch trinken. Es gibt keine Bleichwiese mehr und keinen Kanal. Viele Wohnhäuser wurden dorthin gebaut, wo wir als Kinder so gern gespielt haben. Viele Kinder wurden dort geboren, wurden groß und haben selbst schon wieder Kinder. Sie alle haben unser kleines Paradies nicht gekannt. Mit uns, die wir heute 50 Jahre und älter sind, stirbt eines Tages die Erinnerung daran.

Gemälde der Bleichwiese von Anton Färber

Aus diesem Grunde habe ich diese Zeilen geschrieben und ein Bild dazu gemalt, so wie es in meiner Erinnerung heute noch lebt. Vielleicht können in weiteren 50 Jahren immer noch Menschen Freude an der Bleichwiese haben.

  • Anton Färber: „Heimatbuch-Jahrbuch 1990 Kreis Mayen-Koblenz“, S. 171 – 172.