Karmelenberg

Bruder Nikolaus, der Einsiedler vom Karmelenberg

Franz Müller

Einen der schönsten Ausflugsorten in der weiteren Umgebung von Coblenz ist unstreitig der Karmelenberg, an dessen Fuße die Orte Bassenheim und Ochtendung liegen. Der Karmelenberg, so genannt wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Berge Karmel im hl. Lande, ist vulkanischen Ursprungs. Fälschlich wird er vom Volke auch oft Kamillenberg geheißen. Sein Gipfel ist mit einer Kapelle gekrönt, die im Jahre 1662 erbaut wurde. Über dem Eingange des Kirchleins sieht man einen Schwan. Das Wappen derer von Bassenheim. Nach alter frommer gräfischer Stiftung werden hier alljährlich etwa zwölf Messen gelesen. Eine Prozession begibt sich an den Karfreitagen hierhin, an den vierzehn Stationen, den Monumenten des Leidens unseres Herrn und Heilandes vorbei, die am Berge angebracht sind. Die Kapelle, schlicht und einfach, wird an ihrer Rückseite von hohen Kastanienbäumen beschattet. Die alten, schönen Fenster, die im Jahre 1919 durch die Detonation des in der Nähe vernichteten Kriegsmaterials, Granaten und Minen, zersprangen, sind jetzt durch neue ersetzt. Zum Innern fällt der hohe Altar mit seinen alten Heiligenfiguren auf. Ganz besonderer Beachtung verdient die Statur des heiligen Wendelinus, die gewissen Wert besitzt. Neueren Datums ist die Figur der Muttergottes, deren Hilfe so oft hier erfleht wird.

Eine herrliche Aussicht hat man vor der Kapelle zu den Bergen der Eifel, des Westerwaldes und des Hunsrücks, und erdentrückt kann sich der Beschauer diesem Genusse hingeben, denn heilige Stille, Waldesfrieden umgibt ihn.

Von den Einwohnern der umliegenden Dörfer und Touristen wird dieses friedlichen Erde darum auch gern besucht. Der Ort ist von Bassenheim aus auch leicht in einer halbstündlichen Wanderung an alten, mächtigen Baumriesen vorbei zu erreichen. Doch wer Bruder Nikolaus war, weiß fast niemand. Was alte Leute, deren Eltern den Eremitten noch gut kannten, von ihm erzählten, mag hier folgen:

Der Eremit Nikolaus Hölzer

Bruder Nikolaus hieß Nikolaus Hölzer (aus Montabaur) und ist Mitte des 18. Jahrhunderts geboren. Nach Erlernung des Schneiderhandwerks, nahm er sein Felleisen auf den Rücken und durchwanderte verschiedenen Gaue1 unseres Vaterlandes. Ab 1817 lebte er als Eremit auf dem Karmelenberg in der Marienkapelle. Die Wohnräume waren über dem Chor im ersten Stock untergebracht und sind heute noch zu besichtigen. „Hier wohnte Bruder Nikolaus“, hört man dann sagen. „In diesem Kommodenbett (einer Kommode, die in zwei Hälften auseinandergerückt ein Bett darstellt) hat er geschlafen.“

Eines Abends auf der Wanderschaft klopfte er müde an der Tür eines Hauses an, das allein an einer Landstraße stand und bat um ein Nachtlager. Ein Mädchen, welches ihm öffnete, wies ihm die Bodenkammer hierzu an. Von den sonstigen Hausbewohnern ließ sich niemand sehen. Kaum hatte sich völlige Dunkelheit herangesenkt, da hörte er das Kommen eines Mannes, der fragte, ob Fremde gekommen seien. Dieses wurde bejaht. Bruder Nikolaus, der nun an der Türe seiner Kammer lauschte, vernahm nun aus dem Geflüster des Fremden und der Hausbewohner, dass man es auf sein Leben abgesehen habe. Ihn wundert es nur, dass man nicht gleich zur Tat schritt. Wahrscheinlich wollte man warten, bis man ihn im völligen Schlummer wähnte. Leise entnahm, Bruder Nikolaus nun dem Felleisen die Schere, schnitt damit seine Bettdecke in Streifen, band diese aneinander und ließ sich an derselben vom Fenster hinab. Dann eilte er, so schnell ihn seine Beine trugen, in den nahen Wald. Seine Flucht war aber entdeckt worden und seine Verfolger machten ihm mit einem großen Hunde nach. In seiner Herzensangst erklomm der Eremit den Baum und sah seine Feinde an demselben vorbeihasten. Jetzt aber kam der Hund gesprungen, erblickte ihn und blieb vor dem Baum stehen. Bruder Nikolaus betete. Kein Laut ließ der Hund nun hören, und bald lief er weg. Bruder Nikolaus wartete noch einige Zeit, stieg vom Baume und wanderte weiter.
Diese wunderbare Errettung soll ihn bestimmt haben sein Leben als Einsiedler zu verbringen, wozu er die Kapelle des Karmelenbergs als Aufenthaltsort erwählte.

Nach seiner Körperbeschreibung war Bruder Nikolaus ein großer, kräftiger Mann mit grauem Vollbart und etwas aufgedunsenem Gesichte. Er trug als Kleidung ein schwarzes Mönchshabit mit Ledergürtel und Rosenkranz. Echte Frömmigkeit, ein stilles, freundliches Wesen und große Liebe zu Kindern zeichnete ihn aus und öffneten ihm überall die Türen. Mit Beten, frommen Betrachtungen dem Bepflanzen eines seinen Gartens und der Pflege einiger Ziegen (den Ziegenstall kann man heute noch sehen) verbrachte er die Zeit. Außerdem fand er auch oft, weil er von der Kochkunst etwas verstand, bei Festlichkeiten in der Küche des gräflichen Schlosses zu Bassenheim Beschäftigung. Man gab dem Eremiten, der von Almosen lebte, an allen Orten gerne. Als praktischer Mann hatte er für das Einsammeln verschiedener Gaben in den Dörfern und Höfen der Umgebung „Termaine“ (Termine) festgelegt. So hatte er Buttertermaine, Erbsentermaine (Erbsentermine), Kühwelcheotermaine (Termine für Schweineinnbaden usw. Die letztgenannten wurden im Winter, wenn die Landwirte geschlachtet hatten, abgehalten und werden ihm wohl am besten gefallen haben. Auch Geld bekam er als gesteuert, und der Glaube, dass er ein ansehnliches Sümmchen besäße, veranlasste einen gewissenlosen Menschen ihn zu berauben.

Die Ermordung von Bruder Nikolaus

Es war am Neujahrstage 1828 als Bruder Nikolaus nach der Frühmesse zu Bassenheim, in der er noch kommuniziert hatte, sich zum Heimwege anschidte. Starkes Schneegestöber herrschte, und Freunde von ihm suchten ihn zum dableiben zu bewegen. Er lehnte aber ab und schritt dem Karmelenberge zu. Dort hatte unterdessen ein Schurke mit Hilfe eines Seches, dem Messer vor der Pflugschar, die Türe der Kapelle erbrochen, war zum Stübchen des Einsiedlers gedrungen und hatte, was er an Geld vorfand geraubt. Bei dieser Tätigkeit wurde er wahrscheinlich von dem zurückkehrenden Eremiten überrascht, der aber die Flucht ergreifen musste, trotzdem eingeholt u. von dem Räuber mit dem Sech erschlagen wurde. Die Mordstelle ist fast am Fuße des Berges, nach dem Sackenheimerhof zu, in der Nähe des Steinbruches. Eltern und Erwachsene zeigen Kinder oft die Stelle und machen Sie drauf aufmerksam, dass nichts auf diesem schönen Plätzchen wachse und gedeihe. Das Sech ließ der Mörder neben der Leiche liegen. Erst am 06. Januar, dem Dreikönigentage, wurde diese gefunden. Drei Männer, zwei von Ochtendung und einer von Ruttsch, die sich, nach der damaligen Sitte als die drei Weisen aus dem Morgenlande verkleidet hatten und unter Absingung des Liedes: „Es kamen drei Weisen aus dem Morgenlande“, Gaben heischend2 durch die Dörfer und Höfe zogen, kamen vom Achterspannerhof. Sie wollten nun auch Bruder Nikolaus besuchen. Da sahen Sie an der eben bezeichneten Stelle etwas Schwarzes und glaubten, es sei ein Wolf, denn Wölfe waren in damaliger Zeit in hiesiger Gegend nichts Seltenes. Weil sie aber zu dritt waren, gingen sie beherzt drauf zu. Sie fanden den Mantel des Einsiedlers und dann auch seine vom Schnee fast zugewehte Leiche. Entsetzen verbreitete die Mordtat in den umliegenden Orten, und das Gerücht ging, dass der Mörder in Ochtendung zu finden sei. Da Bruder Nikolaus zuletzt am Neujahrstage in der Frühmesse zu Bassenheim gesehen worden war, und man sich erinnerte, dass das Aveglöcklein des Kapellchens, welche der Eremit immer läutete, schon am Mittag des genannten Tages nicht mehr ertönte, nahm man an, dass er während der „Huhmeß“ dem Hochamte3, erschlagen worden war. Dem damaligen Pastor von Ochtendung, der sich um die Entdeckung des Mörders sehr bemühte, mussten die Männer seiner Pfarrei einzelnen ihren Nebenmann während des Hochamtes angeben. Unter bei der Messe fehlenden, hoffe er den Mörder zu finden. Doch dieses führte nicht zum Ziele, und alle Nachforschungen blieben ergebnislos. Bruder Nikolaus wurde auf dem Kirchhofe zu Bassenheim beerdigt. Sein Grab weiß heute niemand mehr. Das Sech, womit er erschlagen wurde, konnte man vor einigen Jahren noch in seinem Kämmerchen sehen. Jetzt ist es verschwunden.

Noch zwei Einsiedler sah das Kirchlein des Karmelenberges nach dem Tode des Eremiten Nikolaus, den Bruder Johannes und den Bruder Xaverius, die beide zu gleicher Zeit oben wohnten. Wenig Rühmliches ist aber von diesen zu sagen. Bruder Johannes soll mit Dummheit reich gesegnet gewesen sein und nicht einmal das Vaterunser richtig gekonnt haben, weshalb sich die Leute, bei denen er, wie man sich derb ausbrüte, „ein Vaterunser auf ein Stück Brot verhandelt“, über ihn lustig machten. Auch sollen Bruder Johannes und Bruder Xaverius sich geklopft haben, wie die Kesselflicker. Spurlos verschwanden sie auch bald.

An den frommen Bruder Nikolaus aber denkt unwillkürlich jeder Einheimische der Umgegend, wenn er zum Karmelenberge hinaufsteigt.

Zeugnisse aus vergangener Zeit

Alte Akten aus dem Archiv der „Herrschaft Bürresheim“ berichten von der Ermordung des Nikolaus Hölzer am 16.01.1826. Die Herrschaft Bürresheim verlangte damals Aufklärung über die Geschehnisse des besagten Neujahrstag. Bis heute sind die Täter unbekannt. Das Rentamt Bassenheim schildert die Tat folgendermaßen:

„ Auf dem Karmelenberg wohnte seit 9 Jahren nur ein Eremit, mit Namen Bruder Nicolaus Hölzer, während dieser am Sonntag früh hierher gegangen, um die Frühmesse zu hören, wurden im Fenster des Wohnzimmers der Eremitage die Trallien [= Gitterstäbe] ausgebrochen, und eingestiegen, bey seiner Zurückkunft hatte er die Räuber wahrscheinlich noch angetroffen, er scheint sich nach dem Sackenheimerhof haben flüchten wollen, worauf ihm die Räuber nachsetzten, am Fuße des Berges einholten, und mit einer eiserner Pflugsohle tod geschlagen haben, am 2ten Tage wurde er erst gefunden, das Mord-Eisen zu seinen Füßen liegend, trotz aller Nachforschungen hat man bisher nichts von den Räubern entdeckt, welches auch schwerlich geschehen wird, weil sie nichts geraubt haben, als sein weniges Haushaltungs-Geld seine übrigen Baarschaft an Geld haben wir, die Er mir früher entdeckt hatte auf der Kirche gefunden, wo die Räuber nicht hingekommen.

Sie besteht in circa 1000 fl [florin = Goldmünzen]. Der Pastor mit den Kirchen-Vorstehern von hier haben noch nichts merken lassen, ob die die Capelle und Eremitage in Besitz nehmen wollen. Ich bin gesonnen, so bald die Erben die wenige Möbel hinweggenommen haben, die Schlüssel von der Eremitage zu mir zu nehmen.

Indem ich dieses gehorsamst berichte, bitte ich um die ferneren hohen Befehle.
Mit tiefster Verehrung
Euer Excellenz

treuer Diener
J. Wirz 4“

  • Coblenzer Heimat-Blatt, Nummer 24, September 1924, Franz Müller

  1. Das Wort diente als allgemeine Bezeichnung von Regionen als Landschaft oder Verwaltungseinheit.

  2. (gehoben veraltend) um etwas bitten

  3. Als Hochamt wird in der römisch-katholischen Kirche eine feierliche Form der heiligen Messe bezeichnet

  4. Heimatbuch, Landkreis Mayen-Koblenz, Mayen : Wochenspiegel-Verl., 1992 - Hedwig Herdes: Grausame Ermordung des letzten Eremiten vom Karmelenberg S. 158-159, LHA Koblenz Bestand 53c 5 Nr. 2745, Archiv Herrschaft Bürresheim