Dorfleben

Die Geschichte vom Rasselbock

Hanna v. Hanke

Der erste Diener seiner Exzellenz Julius Freiherr von Waldthausen in den Jahren zwischen 1920 und 1925 in der Burg zu Bassenheim, hieß Stahl, aber einer der sogenannten zweiten Diener war Paul und von ihm und seinen Erlebnissen soll hier erzählt werden:

Die zweiten Diener standen mehr oder weniger an der Scheide zwischen komisch und normal, aber der Grenzfall, der absolut mehr zum Unnormalen neigte, war Paul. Bei jedem Wort zog er den linken Mundwinkel hoch, ließ ihn eine Weile oben und stieß stark mit der Zunge nach links nach. Das war ja nicht gerade normal, aber es wirkte stark komisch, zumal, sobald der Mundwinkel hoch ging, seine Zunge ein zischendes Geräusch verursachte, ehe sie an die Zähne stieß. Jede Meldung an die Exzellenz wurde noch stärker durch den Mundwinkel und den Zischlaut betont und, wenn er das Wort „Exzellenz“ aussprach, so boten sich ihm für seine Gewohnheit ungeahnte Möglichkeiten. Paul war sehr sparsam und seine Finanzen waren tadellos in Ordnung, teils sandte er sein Gespartes an seine armen Eltern, teils wurden sie in Goldpfandbriefen, einem damals sehr beliebten Papier, angelegt. Auf den kleinsten Verdienst war er bedacht und für jeden Pfennig dankbar, wobei er immer abschätzte ob das Trinkgeld auch einigermaßen seinen Leistungen entsprochen hatte. Pauls Führung war ausgezeichnet, nur war er mit anderem Personal zu unverträglich, ja so, dass es oft mit Tellern gegenseitig an die Köpfe ging und manchmal Erdkämpfe mit Katharina dem Küchenmädchen stattfanden. Aber seine Moral war, wenn er überhaupt eine hatte, vorbildlich. Sein Verkehr bestand nur aus Zusammenkünften mit jungen Männern, die bei dem alten Schneider Steinebach abends stattfanden. Steinebach hatte immer bis tief nachts noch Licht und seine Krankheiten waren Lungenentzündungen, wobei er bei der dreizehnten starb.


In dem kleinen, ja winzigen Häuschen des alten Schneiders saßen ungefähr 14 junge Männer im Alter von neunzehn bis fünfundzwanzig und ließen sich vom Alten Weisheiten verzapfen. Dort wurde alles besprochen, jede neue Erfindung kritisiert und wenn man Paul etwas fragte „Woher wissen Sie das?“, so war die Antwort „Vom Steinebach“. Die jungen Leute haben sicher viel und den meisten Halt verloren, als die 13te Lungenentzündung ihnen Steinebach nahm. Aber dort bekamen die anderen bald heraus, dass Paul sparsam bis zum Geiz war und so sehr auf das Geld aus war, dass die Geschichte vom Rasselbock hier erfunden wurde.


Es gäbe hier im Tiergarten einen Bock, der rasselte, weil sein Gehörn mit Goldstücken gefüllt sei. Er ließe sich schwer fangen, wer ihn aber finge, der bekäme den Inhalt geschenkt. Das war Wasser auf Pauls Mühle und nun beschäftigte ihn der Rasselbock Tag und Nacht. Bald hatte ihn der eine oder andere seiner Freunde gehört und sie sagten: „Pass jetzt in den klaren Mondnächten auf, da wechselt der Bock vom Tiergarten zum Haus am See“.
Die Burg lag in tiefem Schlaf und der Mond strahlte hell, als Paul das Tennisnetz abspannte und es an die Parkmauer gegenüber vom Tiergarten schleppte. Kunstgerecht wollte er es gerade auf der Mauer aufspannen, als ein lautes Rascheln und Laufen aus dem Tiergarten auf ihn zukam und Paul aus Furcht schleunigst die Flucht ergriff. Am nächsten Abend hörte er bei Steinebach, dass der Bock nachts gesehen worden sei, wie er auf die Mauer zusprang und wie nahe der Verdienst für Paul gewesen sei. Nun ging es Nacht für Nacht auf Anstand, aber der Bock rasselte nicht mehr und endlich musste Paul die Jagd aufgeben, aber er hat die Wahrheit nie erfahren, dass man ihn getäuscht hatte und vielleicht hoffte er, doch noch mal in seinem Leben einen Rasselbock zu fangen.


Nie ist ihm der geringste Zweifel gekommen, dass die Sache nicht wahr sein könnte. Wir wunderten uns nur damals über sein übernächtigtes Aussehen, das so gar nicht zu seinem soliden Lebenswandel passte. Paul weilte mehrere Jahre in der Burg in Bassenheim und dann hörte man von ihm durch Briefe an das Küchenmädchen Katharina, die er um Verzeihung für alle Unarten bat, ein Resultat seines Eintritts in den Verein christlicher jungen Männer.

  • Bereitstellung vom Freiherrl. v. Waldhausen'sches Rentamt